RECHT verstehen

Der gelernte DDR-Bürger hatte jedenfalls irgendwann mal gelernt, dass ein volkseigener Betrieb eine ökonomisch und rechtlich selbständige Einheit der materiellen Produktion oder eines anderen Bereichs der Volkswirtschaft ist. So steht's ja auch in der bis zuletzt gültigen KombinatsVO[4] geschrieben.

Der noch etwas gelehrigere DDR-Bürger hatte sogar noch gelehrt bekommen, dass der Kombinatsbetrieb Produktionsbetrieb für End­erzeugnisse, Produktionsbetrieb für Zulieferun­gen, Forschungs- und Entwicklungs­einrichtung, Projektierungsbetrieb, Rationalisierungsmittel­betrieb und Baubetrieb sowie Handelsbetrieb, Kundendienst­einrichtung u. a. sein kann. Steht auch in der KombinatsVO so geschrieben.

Dunkel in Erinnerung ist dem einen oder anderen Wissenden ggf. auch noch, dass es in der DDR-Industrie und im Bauwesen den Ministerien direkt unterstellte volkseigene Kombinate gab.

Recht einfach war es zunächst, einen volkseigenen (Kombinats-)Betrieb als solchen zu identifizieren: Da stand nämlich immer „VEB“ drauf oder dran; musste es auch, weil das so in der Kombinats-VO stand.

Da musste man nicht mal extra reingehen und herausbekommen, was die da drin so machen. Wenn da „VEB“ dran stand, war auch ein volkseigener Betrieb drin. Das galt übrigens auch umgekehrt, aber dazu später.

War man nun jedoch etwas neugieriger (obgleich dafür eigentlich kein Anlass bestand) und wollte die Zuordnungs-/Unterstellungs­verhältnisse des volks­eigenen Betriebes und seinen Aufgaben­bereich herausbekommen, gestaltete sich das schon schwieriger. Hat aber wohl kaum einer von sich aus getan. Warum auch, da ja klar war, dass es sich um einen volkseigenen Betrieb handelte, kam es darauf nicht an. Auch für den, der dort drin arbeitete,

Stellen wir uns doch einmal Folgendes vor:
Sie erhalten den Auftrag, Ermittlungen anzustellen, nach welchen Sachkriterien der Staat DDR volkseigene Produktionsbetriebe in der Industrie (und im Bauwesen) von den volkseigenen Betrieben in den anderen Bereichen der Volkswirtschaft unterschied.

Ehe Sie sofort wie besessen anfangen, zu googeln und sämtliche Archive, Bibliotheken, Register und was auch immer durchstöbern, setzen Sie sich noch einmal und lesen den Auftrag in Ruhe Wort für Wort.

Im Ergebnis der sich daran anschließenden grundsätzlichen Überlegung, wo sich der Staat DDR zu dieser Problematik geäußert haben könnte, nimmt man sich den Text – man ahnt es schon – der KombinatsVO vor. Diesen durch­sucht man nach dem Wort „Produktions­betrieb“ und wird dergestalt fündig, dass der Kombinatsbetrieb Produktions­betrieb für Ender­zeugnisse, Produktionsbetrieb für Zulieferungen,

Gleich danach ist dann geregelt, dass für die anderen (nicht direkt unterstellten) volkseigenen Kombinate und Kombinatsbetriebe in der Industrie und im Bauwesen sowie für die Kombinate und Kombinatsbetriebe in den anderen Bereichen der Volkswirtschaft die Verordnung entsprechend gelten soll, soweit sich aus ihrer Unterstellung und der Art ihrer Tätigkeit Besonderheiten ergeben. Für diese Kombinate und Kombinatsbetriebe wurde den zuständigen Ministern und Leitern der anderen zentralen Staatsorgane das Recht eingeräumt, Besonderheiten der Anwendung der Verordnung festzulegen.

Nun wissen wir also, dass die KombinatsVO grundsätzlich für alle volkseigenen Betriebe galt. Eine Differenzierung/Unterscheidung wurde nur an einer Stelle in den Vorschriften zum Geltungsbereich und auch nur insoweit getroffen, als etwaigen zuordnungs-/ unter­stellungs­beding­ten Besonderheiten Rechnung zu tragen war.

Nachdem wir diesen herben Rückschlag bei der Erfüllung des Ermittlungsauftrages verdaut haben, suchen wir – nun schon etwas verzweifelt – an anderer Stelle weiter nach dem volkseigenen Produktionsbetrieb.

Doch Ihn findet man als irgendwie eigen­ständige Davon-Position des volkseigenen Betriebes eigentlich nirgendwo.
Nur eben an einer einzigen Stelle in einer Durchführungsbestimmung zu einer Verordnung und dort lediglich als Einleitung zu einer Gleich­stellungsregelung. Deren Verfasser hatte es sicher insoweit gut gemeint, als nur verdeutlicht werden sollte, dass es sich bei den Gleichgestellten grundsätzlich um nicht-produzierende Nicht-VEB handelt.

Es sei ihm verziehen, er konnte nicht erahnen, was er damit anrichten könnte.

Aber ein Highlight bundessozialgerichtlicher Rechtsauslegungs- und -anwendungskunst gönnen wir uns noch:
Notwendige Voraussetzung für die Ein­be­ziehung in das Versorgungssystem war die Beschäftigung in einem "Produktionsbetrieb", denn schon § 5 der Verordnung vom 17. August 1950 sah für den Erlass dieser Durchführungsbestimmungen das Einverneh­men des Ministeriums für Industrie vor.[6]

Obgleich sich die innere Logik dessen ohnehin nicht erschließt, sei noch auf Folgendes hingewiesen:
1. Im August 1950 gab es innerhalb der Provisorischen Regierung der DDR nur schwerlich ein anderes Ministerium, dessen Eivernehmen irgendwie sachgerecht gewesen wäre.
2. Das Ministerium für Industrie hat nach dem Inkrafttreten der Verordnung am 17. August 1950 noch ganze 84 Tage bis zum 9. November 1950 existiert.

Da hat also der Staat DDR nirgendwo den volkseigenen Produktionsbetrieb als besonderen Betriebstyp oder Untermenge des VEB kodifiziert und folglich nach keinerlei Sachkriterien volkseigene Produktionsbetriebe in der Industrie (und im Bauwesen) von den volkseigenen Betrieben in den anderen Bereichen der Volkswirtschaft unterschieden.

Da ist an x Stellen in der Verordnung selbst und auch der 2. DB dazu von "volkseigenen und ihnen gelichgestellten Betrieben" die Rede. Nur einer einzigen, insoweit völlig unmaßgeblichen Stelle wird mal - aus welchem Grunde auch immer - der Wortteil "Produtions-" hinzugefügt.